Arktisch-alpine Glazialrelikte am Feldberg 

Ihr heutiges Zuhause in der Subarktis und Arktis verrät uns, wie die Landschaft am Oberrhein während der letzten Eiszeit einmal ausgesehen haben mag.

Der Feldberg im Südschwarzwald weicht in verschiedener Hinsicht von anderen Bergen im Schwarzwald ab. Zum einen wird im Bereich der höchsten Erhebungen die subalpine Zone erreicht, zum anderen sorgt eine Vielfalt an geomorphologischen Formen dafür, dass zahlreiche kleine, waldfeindliche Biotope geschaffen wurden.

Auf diesen „Sonderstandorten“  haben einige Vertreter der eiszeitlichen Vegetation die nacheiszeitliche Wiederbewaldung überdauert, sie wurden nicht von den konkurrenzkräftigen Waldgesellschaften überwachsen. Man bezeichnet sie allgemein als Glazialrelikte und sie stellen entsprechend ihrer ökologischen Natur durchweg seltene Pflanzenarten dar, die schon früh die Aufmerksamkeit von Botanikern auf den Feldberg zogen.

Definition Relikte: Der Begriff Glazialrelikt drückt aus, dass eine Art während der letzten Kaltzeit im Gebiet auf entsprechenden Standorten oder anderen Standorten heimisch war. Der Begriff meint jedoch nicht, dass die Pflanzenpopulationen damals an denselben Lokalitäten wie heute vorkamen, da die höchsten Erhebungen des Feldberges damals unter einer geschlossenen Firnkappe lagen.

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Diese Glazialrelikte fügen sich mancherorts recht unauffällig ins Landschaftsbild. Dabei vergisst man leicht, dass sie bezüglich ihrer ökologischen Konstitution eigentlich in einem ganz anderen Ökosystem zu Hause sind. Arktisch-alpin verbreitete Pflanzen leben in waldfeindlichen oder waldfreien Tundren, an deren Klima sie bestens angepasst sind und wo sie dem Konkurrenzdruck der Waldvegetation nicht ausgesetzt sind. Sie erreichen dort eine häufig verblüffend hohe Produktivität, die uns vor Augen führt, welches Schattendasein sie im Schwarzwald unter der Ueberschirmung anderer Arten führen.

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Die Alpen können wegen ihres steilen Reliefs dabei nicht so  anschaulich mit dem Schwarzwald verglichen werden. Die abgeschliffene Rumpfflächenlandschaft des skandinavischen kaledonischen Gebirges ist dem Schwarzwald in Höhe und Relief dagegen viel ähnlicher und kann gut als Modellvorstellung dienen, wenn man die ökologischen Verhältnisse im Schwarzwald während der letzten Kaltzeit rekonstruieren möchte.

Ein Blick in die skandinavische Subarktis zeigt uns heute also eindrucksvoll, unter welchen Bedingungen viele Vertreter der sog. “Dryas-Flora“ im aktuellen Schwerpunkt ihres Areals leben.

Es handelt sich um Tundrenlandschaften nördlich der polaren Waldgrenze bzw. oberhalb der subalpinen Birkenwaldzone. Dort herrschen bei Jahresdurchschnittstemperaturen von -1 °C (oder weniger) sehr kurze, kühle Sommer vor und die Ökosysteme sind deutlich vom Frostwechsel gekennzeichnet (Vergleich: Feldberg ca. 3 °C, Riesengebirge 0,5°C).

Am Beispiel einzelner Glazialrelikte des Feldberges lässt sich anschaulich darstellen, dass die Habitate in Schwarzwald und Subarktis zwar ähnliche Züge aufweisen, aber bei genauerem Hinsehen doch deutlich verschieden sind. Letztendlich lässt uns nur ein Besuch in der Subarktis verstehen, unter welchen Lebensbedingungen diese Organismen evoluiert wurden und welche extremen Verhältnisse in ihrem eigentlichen Verbreitungsgebiet vorherrschen.

Der Feldberg erinnert mit steilen Felswänden, spät abtauenden Wächten und Schneefeldern zwar an alpine Oekosysteme, dass die alpine Zone am Feldberg jedoch nicht erreicht wird, erkennen wir an folgenden Aspekten:

- es gibt keine Schneebodenvegetation
- es gibt keine Frostmusterböden und keine echten Windheiden
- es gibt kein Bodenfliessen (eine ganzjährige Vernässung der entsprechenden Böden ist nicht gegeben)

Einige Beispiele für Glazialrelikte des Feldberges


 Der Alpen-Frauenmantel (Alchemilla alpina)

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Alpen-Frauenmantel in der Karwand des Feldsees

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Alpen-Frauenmantel in üppiger Population in nordschwedischer, alpiner Tundra

 


 Quellflurmoos Pohlia wahlenbergii ssp. glacialis

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Pohlia wahlenbergii ssp. glacialis in Quellfluren im oberen Karboden / Zastler Loch, wegen der Ueberschirmung durch Ranunculus aconitifolius ist das Moos chlorotisch/gelbblättrig

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Pohlia wahlenbergii ssp. glacialis in der Subarktis / Kerkesvagge mit dem typischen leuchtend fluoreszierenden Farbton an dem man das Moos schon auf kilometerweite Entfernung erkennt.

 


Cetraria cucullata -  Flechte der subarktischen/arktischen Windheiden

 

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 Hier ein Blick auf eine Gesellschaft von Flechten der Windheiden subarktischer Tundra (Ballinvagge Nordschweden) mit Cetraria cucullata (weisser, rinniger Thallus). Cetraria cucullata kommt am Feldberg reliktisch auf dem Baldenweger Buck in einer kleinen spärlichen Population in lückigen Borstgrasrasen vor.


 Diphasium alpinum - Alpen-Bärlapp

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Diphasium alpinum mit üppigem Wuchs auf einer Fliesserdenzunge in alpiner Tundra auf dem Njulla in Nordschweden (68. Breitengrad). Am Feldberg überdauert Diphasium alpinum auf dem Kamm zwischen Höchstem und dem Sattel oberhalb des Zastler Loches in verheideten Borstgrasrasen.


Rollfarn - Cryptogramma crispa

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Der Rollfarn hat die postglaziale Wiederbewaldung im westlichen Feldberggebiet auf einer waldfreien Blockhalde überdauert. Dort wächst er in Feinerdeinseln zwischen den Felsblöcken.

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Der Rollfarn findet heute in der subarktischen Tundra ausgedehnten Lebensraum im Vorfeld abtauender Gletscher. Hier ein Bild vom Partegletscher / Sarek-Nationalpark Nordschweden. Trotz grosser Geröllflächen ist der Rollfarn auch in Norschweden selten, wohl wegen Ausbreitungsschwäche.

 


Moosfarn - Selaginella selaginoides

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Der Moosfarn besiedelt am Feldberg reliktisch einzelne Niedermoore (z.B. im Zastler Loch), wo er in lückiger  Vegetation keiner starken Konkurrenz  ausgesetzt ist. In der Subarktis und borealen Zone finden wir den Moosfarn in der Ebene an Bachufern, sowie in der alpinen Zone häufig in feuchten bis wasserzügigen Rasengesellschaften und Niedermooren. In Nordschweden wächst Selaginella meist bei leichtem Kalkeinfluss


Alpenhelm - Bartsia alpina

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Der Alpenhelm wächst am Feldberg in Gesellschaft des Moosfarnes in Niedermooren.

In der Subarktis finden wir ihn in der subalpinen und alpinen Zone auf feuchten Böden an lückigen Uferböschungen, Rasengesellschaften und in Niedermooren. 


 Jungermannia exsertifolia ssp. cordifolia - ein subarktisches Wassermoos

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Jungermannia exsertifolia ssp. cordifolia im Zastler Loch / Feldberg 

Jungermannia exsertifolia kommt in Deutschland nur am Feldberg, im Harz sowie in der Eifel reliktisch vor. Die Art wächst untergetaucht in kühlen, unbelasteten Bergbächen auf fest anstehendem Gestein oder grobem Geröll und fällt durch ihre dunkelolivgrüne Farbe sowie die herzförmigen, hohlen Blätter auf. Am Feldberg liegen die schönsten, wirklich üppigen Vorkommen auf der Nordseite im Zastler Loch. Vereinzelt kommt sie auch am Ostabfall des Feldberges vor. In der Subarktis findet sich Jungermannia exsertifolia in klaren Bächen der alpinen Tundra, wo sie optimale Wuchsbedingungen findet.


Machen Sie sich bei einer Wanderung am Feldberg ein Bild von der Vielfalt punktueller Sonderstandorte, die der Landschaft eine ganz eigene Prägung verleihen und sie von anderen, hochmontanen Erhebungen des Südschwarzwaldes unterscheiden.

Tourenvorschlag
: Laufen sie vom Naturschutzzentrum aus zum Felsenweg, oberhalb des Feldseekares, entlang von Lawinenbahnen, Niedermooren, durch Buchen-Tannenwälder, durch den staudenreichen Bergahorn-Buchenmischwald bis zum Rinken. Von dort kann man einerseits zum Fuss des Baldenweger Buck marschieren und Alpenampfer-Lägerfluren rund um die Baldenweger Hütte bestaunen (und dort einkehren) oder hinauf ins Zastler Loch steigen. Hier finden sich in einem typischen nordexponierten Kar eindrucksvolle Blicke auf die Wächten, auf Lawinenbahnen, es findet sich ein Gletscherschliff, ein Rundhöcker sowie zahlreiche Aspekte einer Vegetation, die zur subalpinen Zone vermittelt und von kurzen Sommern, hoher Bodenfeuchtigkeit und schneereichen Wintern zeugt. In den Niedermooren finden sich Alpenhelm, Moosfarn, Sumpfherzblatt und zahlreiche andere Glazialrelikte wie subarktische Wassermoose (Jungermannia exsertifolia ssp. cordifolia).